Herr Jung, sagen Sie doch mal …

Wir sprechen mit Oberbürgermeister Burkhard Jung über brennende Fragen, die die Leipziger Eltern in Bezug auf die Sicherheit ihrer Kinder im Straßenverkehr beschäftigen.

Beim Erstellen der WE RIDE LEIPZIG Ausgabe 18 haben wir mit vielen Eltern und ihren Kindern gesprochen. Wir wollten Antworten auf die simple Frage “Würden Sie Ihr Kind allein mit dem Fahrrad losschicken?” erhalten. Warum diese Frage von vielen verneint wurde, versuchen wir mit Oberbürgermeister Burkhard Jung zu erörtern, indem wir Fragen an ihn weiterreichen, die die Eltern beschäftigen. 

Robert im Interview mit Burkhard Jung

Herr Jung, uns wurden folgende Fragen gestellt, die wir Ihnen mitgeben möchten. Eine Mutter erzählte uns, dass am Werner-Heisenberg-Schule Gymnasium von der Schulleitung vermeldet wurde, dass die Kinder mit dem Fahrrad zur Schule kommen, weil es zu gefährlich ist. Wie gehen wir damit um?

Ein generelles Verbot kann eine Schulleitung nicht aussprechen, aber ich verstehe ihre Sorge. Natürlich kann die Schule im Rahmen einer Verantwortung Empfehlungen aussprechen. Insbesondere für die Kinder, die in der fünften Klasse beginnen. Ich möchte grundsätzlich antworten: Leider wurde viele Jahrzehnte lang Verkehr immer nur aus dem Blickwinkel des möglichst flüssigen Autoverkehrs gedacht. Das war ein Fehler und wir werden noch sehr lange brauchen, den öffentlichen Verkehrsraum flächendeckend so umzugestalten, dass er für alle Verkehrsteilnehmer sicher nutzbar ist. Wir sind da wirklich dran, aber es wird noch dauern, bis alle Problemstellen entschärft sind. Natürlich möchte ich, dass Kinder und Jugendliche umweltfreundlich, selbständig und sicher mit dem Rad zur Schule fahren können.  Ich empfehle der Schulleitung, auf unsere städtische “AG Schulwegsicherheit” zuzugehen – die Schulwegsicherheit ist in der Stadt Leipzig ein fester und wichtiger Bestandteil der Verkehrsplanung. 

Zweite Frage: Wir bleiben bei gefährlichen Straßen. Kennen Sie eigentlich die Autorennen auf der Jahnallee? 

Ich habe mit der Polizei darüber gesprochen. Ohne systematische Kontrolle wird dieses Problem nicht besser werden. Im Doppelhaushalt 2023/24 haben wir eine deutliche Erhöhung von Radarfallen geplant. Wir wollen mehr Verkehrssicherheit schaffen, indem wir diejenigen zur Kasse bitten wollen, die sich nicht benehmen. 

“Herr Wissing, Sie sind am Zug. Die Koalition hat vereinbart, das Thema ‘Tempo 30’ proaktiver an die Städte abzugeben.”

Zum Thema “Tempo 30” lautete die Frage: Kommt das Modellprojekt jetzt? 

Wir arbeiten sehr intensiv daran, dass der Bundesgesetzgeber uns weitere Erleichterung gewährt, sodass wir die Dinge vor Ort selbst entscheiden können. Dazu muss aber die Straßenverkehrsordnung geändert werden. Natürlich bin ich auf Bundesebene als Oberbürgermeister über den Deutschen Städtetag aktiv, um auf den Verkehrsminister zuzugehen, damit wir weitere Handlungsmöglichkeiten für die Städte erwirken. Herr Wissing, Sie sind am Zug. Die Koalition hat vereinbart, das Thema “Tempo 30” proaktiver an die Städte abzugeben. Im Verkehrsausschuss gibt es dazu klare Signale. Ich denke, dass es in den nächsten 12 Monaten eine Entscheidung geben wird. Was wir tun dürfen, machen wir: Zum Beispiel mit der Fortschreibung des Lärmaktionsplans, dieser sieht vor, dass wir neu an 32 vom Lärm geplagten Straßen Tempo 30 einführen werden – was dann natürlich auch kontrolliert werden muss. 

Warum sind Fahrradstraßen eigentlich immer voll mit Autos? 

Es ist problematisch! Auf Fahrradstraßen ist grundsätzlich nur der Radverkehr erlaubt, es sei denn ein Zusatzschild erlaubt das Befahren auch mit Autos, LKWs oder Motorrädern. Meist ist das so in Leipzig: Anwohner müssen ja zu ihren Häusern kommen können. Wenn zu viele fremde Autos durch Fahrradstraßen fahren, die nur für Anlieger freigeben sind, dann müssen wir mehr Kontrollen durchführen.

Warum sind wir eigentlich immer so sauer aufeinander im Straßenverkehr? 

Das frage ich mich auch. Kennen Sie die Parabel von Bertolt Brecht “Zwei Fahrer” aus Geschichten vom Herrn Keuner? Bertolt Brecht analysiert überaus klar zwei Typen von Autofahrern. Es endet mit der Frage: Welcher Fahrer möchtest du sein? Der, der überall, der Erste ist und sich an jeder Ampel vordrängelt oder der, der Spaß daran hat, dass alle ans Ziel kommen? Die Geschichte ist wunderbar, weil sie genau auf den Punkt bringt, welche Mentalität wir in den Verkehr mitbringen. In Deutschland scheint es durch die jahrzehntelange Realität und Kfz-zentrierten Städte gewachsen zu sein, dass wir rasen und mit Ellenbogen die Sau am Steuer rauslassen. Was hat die Mentalität der Deutschen so geprägt? Es ist das überzeichnete Bild vom Auto als gesamte wirtschaftliche Kraft des Landes, die fehlende Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen und der noch immer damit verbundene Freiheitsgedanke. Wir drehen dieses Bild nur durch klare Regeln und Geschwindigkeitsbegrenzungen. Natürlich sind Radfahrende oder Fußgehende davon auch nicht ausgenommen. 

Warum hören Radwege manchmal einfach auf? 

Die Frage beschäftigt uns intensiv. Es gibt keine Lösung, die auf alle Stellen in der Stadt passt. Dennoch sage ich, dass Lücken schnell geschlossen werden müssen. Wenn Radwege unvermittelt enden kommen Radfahrende unnötig in Gefahr. Bevor wir neue Radwege abmarkieren, sollten wir Lücken im HauptnetzRad schließen. Das muss unser Ziel sein. An Hauptverkehrsstraßen müssen wir sichere Radwegmarkierungen so einsetzen, dass die, die Schutz brauchen, auch geschützt sind. Da ist noch viel nachzubessern.

Vielen Dank.